vom Bauhiwi zum Chefkoch im Wir-Projekt

Hier eine ironisch/satirische, aber wahre, Geschichte von Mike Michelus darüber, wie er 1994 Chefkoch des Jercoma-Restaurants im wir-projekt wurde. Aufgeschrieben im Jahre 2005.

Wie man Chefkoch wird.

 

"Wenn jemand von euch jemanden kennt, der Koch werden will:

 

bindet ihn fest! Holt einen Arzt oder Exorzisten!

 

Notfalls betäubt ihn!"

 

 

Ich wurde Unternehmer. Genauer gesagt, da ich gerne koche, wurde ich Chefkoch in einer mehr als zweifelhaften Anstalt. Sie nannten sich wir-projekt. War auch nicht schlecht. Neue Herausforderungen sind bei mir ja immer willkommen.

 

„Hast du Lust mal hinter den Tresen auszuhelfen?“ frug mich ein WG-Mitglied, das im Restaurant dieses Projektes arbeitete. Warum nicht. Ein Bier kriege ich noch immer auf. So stand ich hin und wieder hinter dem Tresen und machte den Stammgästen die Klagemauer. Ich hatte so etwas noch nie gesehen und war erstaunt, daß es existierte. Es schien, als ob hier alle frei wären. Kein Chefgehabe, keine Anmache. Dieses Haus war eine Insel, auf der man versuchte alle Gesetze des Universums gleichzeitig zu brechen. Die Bewohner dieser Insel waren seltsame Entwürfe Gottes. Von Egozentriker bis Choleriker wurde alles geboten. Sogar friedenbeseeltes Ying-Yang Personal fand hier seinen Platz.


 

Ich dachte mir: ab jetzt kein Kino mehr. Hier war besser. HIER bekam ich auch noch Geld dafür. Aus der Aushilfe wurde dann ein fester Arbeitsplatz im Restaurant dieser selbstverwalteten Irrenanstalt. Es lief und lief und lief. Irgendwann sucht sie dann einen neuen Koch. Auf den Mitarbeiter-Plenen wurde endlos diskutiert wie man einen finden könnte. Einen, der angesichts unserer selbst nicht gleich wegrennt oder einen Herzinfarkt bekommt. Da fiel mir ein, auch schon mal eine Dose Linsen unverletzt geöffnet zu haben. Ich sagte: Hey Leute, nehmt doch mich. Alle schauten mich an und grinsten dann.

 

So wurde ich eingelernt in die Geheimnisse sagenumwobener Töpfe. Man schien es sich in dieser Küche nicht leicht zu machen. Jedes Gericht auf der Karte war eine Demonstration weltanschaulicher Ansichten und politischer und ökologischer Ansprüche. Einfach kochen war da nicht. Da mußte man erst einmal die moralische Verträglichkeit der zu schälenden Karotte ergründeln. Ich wußte gar nicht, was man alles kochen, brutzeln, beschwören und bedämpfen kann.

 

Das Motto hieß: kochen mit Hindernissen. Die Hindernisse waren wir.

 

Banalitäten a‘ la Spätzle mit Sößle an Anti-Kopfweh-Schnitzel war nix für uns.

 

Diese Küche war eine „Aufgabe“. Ich nahm sie an und war glücklich.

 

Den damaliger Beherrscher des Reiches, ein netter Man mit Herz und Witz, hatte man kurz vorher mittels Gewaltanwendung von irgendeinen Trip runter geholt. Jetzt stand er grinsend am Herd und wenn er nicht kochte, gab er mit seinem Bariton Auszüge aus allerlei Opern. Tat er nichts von alledem, machte er sich Sorgen.

 

Irgendwann ging er. Und andere gleich mit. Ich war jetzt der letzte Mohikaner dieser Dünststätte. Etwas frustriert, aber mit Pfanne. Jemand kam und sagter: "Herzlichen Glückwunsch zum Chef de cousine."

 

 

 

Ich glaube, ich vergaß mich zu bedanken.